Geschichte der Konstanzer Fasnacht |
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Die Konstanzer Fasnacht 1886
(Kamelia-Jahresberichte von 1882-1892,
Bericht 1886) Mitte Januar 1886 rief Narrenvater Richard Hörenberg
seine Paradieser Mitbürger zu einer Versammlung ins Gasthaus »Zum
Schiff«. Nach der Begrüßung der zahlreich erschienenen Narren
las Stephan Einhart seinen Bericht über die letzte Fasnacht vor.
Danach übernahm der Narrenvater recht »schwungvoll« die Leitung
der Versammlung und verkündete, daß man auch in diesem Jahr wieder
einen
Umzug auf die Beine stellen wolle. Die Anwesenden
stimmten ihm zu, und man gründete ein
Umzugskomitee, in das 14 Narrenfreunde gewählt
wurden. Jetzt fehlte nur noch das
Motto. Die Versammlung schmiedete Pläne
und verwarf sie wieder, doch plötzlich hatte einer den zündenden
Geistesblitz, man könne doch die derzeit aktuelle »Ansiedlung in
Kamerun nebst Einschiffung und jetziges Dasein« darstellen. Die Idee
fand auf Anhieb großen Beifall. Aber wie immer in solchen Fällen
wurden sogleich Stimmen laut, daß man für ein solches Unternehmen
mehr Geld brauche als im letzten Jahr, und so kam man auf den Gedanken, zu
diesem Zweck bei den Paradieser Narren erstmals einen Mitgliedsbeitrag
von 2 Mark zu erheben. Der Gedanke an den Umzug stieß auf so viel
Zustimmung, daß sich spontan eine große Zahl der Anwesenden als
zahlungswillige Mitglieder einschrieben. Mit einem kräftigen
»Narro,
Narro siebo si« fand
diese
erste
Narrensitzung des
Jahres ihren Abschluß.
Von nun an wurde jede Woche eine Narrenversammlung abgehalten, abwechselnd
in den Gaststätten »Zum Schiff«, »Zur Schweizergrenze«,
»Zum Paradies« und im altbekannten »Lieben Hannes«, bei
Robert Dummel, dem »Kapitän der Sandbänke«. An einem
dieser Abende überlegten sich die Paradieser Bürger, ob man der
Narrengesellschaft nicht einen originelleren Namen geben
sollte. Das »Dromedar«, das bei der letzten Fasnacht soviel Heiterkeit
auslöste und hinter dem oder unter dem der weitgereiste, ruhelose Adolf
Einhart steckte, kurz der »Amerikaner« genannt, lieferte der
Versammlung ungewollt das Stichwort, und so beschloß man,
»der
Narrengesellschaft Paradies den Namen Kamelia Paradies auf Aktien zu
geben«.
Außerdem einigten sich die Kameler, den
Umzug
am Fasnachtsdienstag
mit »größerem Pomp« auszuführen. Zu diesem Zweck
sollten
Plakate gedruckt und eine
Ankündigungsanzeige
in der Zeitung aufgegeben
werden. Die Fasnacht des Jahres 1886 versprach einen bisher noch nie gekannten
Höhepunkt. Auch die »Konstanzer Zeitung« machte erwartungsvolle
Andeutungen (Artikel in der KNZ, Nr. 66, 8.3.1886): »Wer das ernste
Thun und Treiben des Jahres gerne für einige Tage ruhen läßt,
dem ist in heuriger
Fastnacht alle mögliche Gelegenheit geboten,
seine närrischen Ideen in vollem Maße zur Geltung bringen zu
können. Beinahe jeder Verein, jede Gesellschaft veranstaltet etwas und
wenn schließlich nur ein Narrenabend, eine kostümierte Kneipe
oder dergleichen dem Prinzen Karneval eine Huldigung darbringt. Das sind
aber mehr die internen Genüsse und nicht jedem zugänglich. Allgemeines
Interesse wird am Montag der
historische
Umzug der
Elephanten
AG
»Die
Geschichte der Stadt Konstanz«
erregen. Nach den Vorbereitungen
zu schließen, wird derselbe sicherlich befriedigen und den Rahmen der
Gesellschaft erhöhen. Auch die
Paradieser, welche sich für diese Zeit in eine
Aktiengesellschaft
"Kamelia" umgewandelt
haben, werden nicht verfehlen, am Dienstag mit ihrer
»Reise
von Deutschland nach
Kamerun« Aufsehen zu
erregen ...« Die Fasnachttage lagen diesmal sehr spät im Jahr.
Der »Schmutzige Dunschtig« fiel auf den 4. März, und so konnte
man hoffen, daß auch das Wetter mitspielte, denn erstmals erlebte Konstanz
zwei Fasnachtstage mit zwei groß angekündigten Narrenumzügen:
am Montag mit den
Elefanten und am Dienstag mit der
Kamelia
Paradies. In der
Vorbereitungszeit zur Fasnacht gab es wieder ein großes Angebot an
Bällen
für jeden Geschmack
mit den gewohnten Unterhaltungseinlagen. Auch die
Elefanten waren mit mehreren inzwischen schon
traditionell gewordenen Saalveranstaltungen dabei. Damit wurden die Elefanten
finanziell in die Lage versetzt, in diesem Jahr ihren Umzug zu gestalten,
ohne ihn zuvor gegen Eintrittsgeld zur Schau stellen zu müssen, denn
auch die Einsatzkräfte der tatkräftigen »Obernarren«
waren nicht unbeschränkt. (Artikel in der KNZ, Nr. 64, 6.3.1886) Der
»Schmutzige
Dunschtig« zeigte
in diesem Jahr auf den Straßen ein wesentlich bunteres Bild »als
in früheren Jahren, was auf einen lebhaften Verlauf der
Faschingszeit überhaupt schließen
läßt«. (Artikel in der KNZ, Nr. 67, 9.3.1886) Der
Samstag begann anfänglich mit Regen, der dann später zu
einem »gewaltigen Schneefall« überging, der die Straßen
und Wege mit einer fußhohen Schneedecke belegte. Am Sonntag
brach mittags für einige Stunden die Märzensonne durch die Wolken
und lockte die Bürger wieder in Massen auf die Marktstätte. Aber
der
Fasnachtssonntag enttäuschte die erwartungsvollen
Bürger ebenso wie in den vergangenen Jahren. »Außer einigen
Hanselis mit ihrem ewigen »Bist Du au do?«
oder »Gelt Du kennst mi nit!« und
kostümierten
Kindern war jedoch im
großen Ganzen wenig zu sehen. Eine größere Gruppe mit Musik
- Serben und Bulgaren darstellend - zerstreute sich bald nach allen
Wirtshäusern.« Der
Umzug der
Elefanten am Rosenmontag bot den Zuschauern
ein buntes, farbenprächtiges Bild (Artikel in der KNZ, Nr. 69, 11.3.1886):
»Aber nicht bloß die
Elephanten«, so schreibt der
Fasnachts-Berichterstatter der »Konstanzer Zeitung«, »setzten
Konstanz und die Umgebung in Erstaunen, auch die Söhne des geliebten
Krautlandes Paradies thaten sich zu einem Bund,
»Kamelia« benannt, zusammen und
veranstalteten« [A.H.H.: am Fasnachtsdienstag] »einen großen
Umzug durch die Stadt. In sieben Bildern stellten
sie die Reise einer deutschen Auswandererkarawane nach Kamerun dar. Man sah,
daß die Auswanderer in den verschiedensten bäuerlichen Trachten,
heimatliche Lieder singend und nicht eben traurig, gings ja doch nicht ins
Ausland, sondern nach Neudeutschland zu neugewonnenen schwarzen Brüdern.
Man verfolgte die Fahrt der Auswanderertruppe über den Ozean auf dem
reich bewimpelten Dampfer »Nachtigall«, einem imposanten
Beweisstück für die Baukunst der »Kamelia«. In der neuen
Heimat angekommen, hißt die Gesellschaft alsbald die dt. Flagge; wir
begegnen dem mit seiner erlauchten Gemahlin in einer bequemen Droschke fahrenden
King Bell. Wir sehen es mit an, wie die Ankömmlinge die schwer kapierenden
Eingeborenen in den verschiedenen Zweigen der Landwirtschaft unterrichten,
um aus dem Urwald von dem wir ein mit Schlangen, wilden Tieren und
blutdürstigen, zähnefletschenden Eingeborenen bevölkertes
Stück vorgeführt bekommen, urbares Land herzustellen. Die Stämme
gewöhnen sich übrigens rasch zusammen, begegnen wir doch alsbald
einem unvermählten Paar, eine Deutsche hat die Furcht vor der Farbe
des Teufels überwunden und einem strammen Schwarzen die Hand gereicht;
weitere Verhältnisse scheinen sich, nach dem gemütlichen Zusammensein,
das der Schlußwagen vorführte, in kürzester Frist
anzuknüpfen. Der ganze Zug war vortrefflich arrangiert und zeigte eine
Fülle der gelungensten Kostüme. Ein heftiger kalter Wind mochte
den an die tropische Sonne Afrikas gewöhnten Schwarzen nicht so ganz
behagen, doch ließen sie sich in ihrem munteren Treiben keinen Augenblick
stören, und auch das Publikum, das wie Tags zuvor, in großen Massen
herbeigeströmt war, hielt Stand, bis der Zug seinen Lauf vollendet und
wieder nach dem Paradies hinausgefahren war. Abends feierte die
»Kamelia« die glückliche Ankunft im neuen Heimatlande in der
Kongoküste (zur »Schweizergrenze« am Grenzbach) und es fand
eine allgemeine Verbrüderung mit den Eingeborenen von Kamerun statt.
Man konnte sehen, wie schnell die dt. Kultur Fortschritte macht: Der Wirt,
selbst ein Eingeborener, hatte dt. Wein, dt. Bier und sonstige Konstanzer
Erfrischungsmittel importiert, um die neuen Ansiedler in jeder Hinsicht zufrieden
zu stellen. Es bot ein heiteres Bild wenn King Bell mit Gemahlin und alle
anderen Farbigen unsere dt. Tänze aufführten und sich an sonstigen
Unterhaltungsspielen ergötzen.« (Kamelia-Jahresberichte von 1882-1892,
Bericht 1886) Der Chronist Stephan Einhart berichtet über jenes
denkwürdige Umzugsereignis in der Geschichte der Kamelia, daß
sich der Umzug, mit den Festreitern an der Spitze, pünktlich um 13.30
Uhr, vom »Schiff« im Paradies in Richtung Stadt in Bewegung gesetzt
habe. Schon bei der Gaststätte »Zum Paradies«, Ecke Gottlieber
Straße und Brüelstraße, wurden sie von einer großen
Zuschauermenge begrüßt. Als man dann die Lutherkirche erreichte,
waren die Narrenfreunde bereits so zahlreich, daß es fast kein Durchkommen
mehr gab. Überall empfing man die Paradieser mit Beifall. Einhart vermerkte
mit sichtlicher Genugtuung: »... Man hörte sogar, daß unser
Zug demjenigen der Elephanten voranstehe.« Bravo! Es gab allerdings
noch ein kleines Mißgeschick, denn der Dampfer »Nachtigall«
ist trotz der guten Führung und der umsichtigen Schiffsbedienung »auf
der Klippe des Hotel Garni aufgefahren«. Auf dem Heimweg ging es noch
in einige Wirtschaften, bevor man sich des Abends, wie bereits in der Zeitung
erwähnt, in der »Schweizergrenze« zu einem Tanzkränzchen
zusammenfand. Am Abend gingen aber noch einige »Schwarze« in die
Stadt, »um ein gutes Glas Wein zu trinken, welches einzelnen theuer
zu stehen kam, indem sie es den anderen Tag noch büßen mußten
und nicht einmal mehr dem oben erwähnten Kränzchen beiwohnen konnten.
Das Kränzchen verlief in amüsiertester Stimmung und harrten die
meisten Mitglieder aus bis nach der Mitternachtsstunde, so daß am
Aschermittwoch der Arbeitsgeist noch so ziemlich fehlte.« Während
die Paradieser an jenem glücklichen Fasnachtsdienstag den Umzug wieder
nach Hause brachten, entwickelte sich in der Stadt, bis tief in die Nacht
hinein, ein buntes, fasnachtliches Treiben. Der Bericht, den die
»Konstanzer Zeitung« darüber brachte, ist bemerkenswert, weil
er einen weiteren Einblick in das Konstanzer Fasnachtsbrauchtum des vorigen
Jahrhunderts gibt. Hier werden nämlich zum ersten Mal die an der Fasnacht
typischen
Bänkelsänger erwähnt, die ähnlich wie heute
noch in Basel, durch die Lokale »schnurrten« (Artikel in der KNZ,
Nr. 69, 11.3.1886): »Trotz des sehr ungünstigen Wetters bewegten
sich viele interessante
Masken
durch die Straßen,
insbesondere machte eine originelle Musikbande Aufsehen. In den Wirtschaften
wurde auch ein tragbares »Welttheater« en miniature gezeigt. Daß
die unvermeidlichen, das Gehör quälenden
»Bänkelsänger« nicht fehlen durften, war
vorauszusehen...«
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23.05.2003 Uli Topka Konstanzer Fasnacht, Herbert Hofmann, 1985 |